DRACULA

Lass uns mit dem Feuer spielen

Michaela Dicu wirft am Konstanzer Stadttheater mit Bram Stokers „Dracula“ einen besonderen Blick auf das Weltgeschehen

Der christliche Gott schickte seinen Sohn in Menschengestalt. Das große Fest zum Ereignis wird in Kürze wieder gefeiert. Auch Dracula kam in Menschengestalt, das sollte in der Tat nicht vergessen werden. Michaela Dicu erinnert derzeit im Konstanzer Stadttheater in ihrer Bühnenfassung von Bram Stokers Vampir-Roman daran. Damit liefert sie und ihr Ensemble eine nicht unwichtige Anmerkung zum Weltgeschehen in einer originellen Verpackung. Und auf die Verpackung kommt es auch an, gerade jetzt.

Dass Michaela Dicu schon die „Rocky Horror Picture Show“ auf die Bühne gebracht hat, scheint auf die „Dracula“-Inszenierung in der Spiegelhalle abgefärbt zu haben. Eine gewisse Skurrilität hängt ihren Figuren an. Sowohl in Transsilvanien als auch im „schönen England“, wie der Graf mit den langen Eckzähnen seinem Gast gegenüber das Land beschreibt, in dem er einen Wohnsitz nehmen will.

Der Rechtsanwaltsgehilfe Jonathan ist eigens angereist, um ihm das Anwesen in London schmackhaft zu machen. Vincent Heppner spielt ein Bürschchen, das einen fetten Vertrag mit nach Hause nehmen möchte und ganz viel Angst hat vor dieser ihm so fremden unverständlichen Welt.

Die Szenerie in London ist nicht weniger seltsam. Eléna Weiß hopst als Lucy auf dem Sessel auf und nieder, als sei sie bereits vor dem gräflichen Biss besessen. Das soll wohl überschäumende Lebenslust bedeuten. Viel zu zwanghaft, um echt zu sein. Eléna Weiß stellt ein fragiles Wesen dar, das mit der wirren roten Haarpracht und dem weißen Spitzenkleidchen (Bühne und Kostüme von Jasna Bosnjak) ein bisschen enthoben daherkommt. Recht selbstverliebt und zuweilen ganz erstaunt schaut sie hinaus in die Welt. Sie sucht das romantische Liebesabenteuer und verfällt Dracula.

Dicu und ihr bestens aufgestelltes Ensemble unternehmen den Abstieg hinab in den Keller der menschlichen Seele fast beiläufig. Das liegt auch daran, dass der Balanceakt zwischen Rocky-Horror-Blödelei und Momenten, in denen es schockartig um nichts weniger als Leben und Tod geht, bis zum Schluss gelingt. Thomas Fritz Jung gibt den Running Gag, der als Draculas Gehilfe Renfield im Hintergrund seine Fliegen und Spinnen verknuspert. Macht er sehr gut. Ralf Beckord ist anfänglich ein imposanter Dracula im ornamentgewebten Mantel. Später spielt er van Helsing, den Vampir-Jäger. Ebenso wie Vincent Heppner vom Londoner Anwaltsbürschchen in die Rolle des Blutsaugers wechselt. Ein sinnreiches dramaturgisches Manöver, das die komplizierte Angelegenheit um Gut und Böse im Menschsein selbst ansiedelt.

In seinem Gedicht „Liebesantrag“ zeugt Frank Wedekind von den Gefahren, auf die sich die Menschen einlassen, wenn sie ihre tiefsten Gefühle anwerfen, zu denen fraglos die Liebe gehört. „Lass uns mit dem Feuer spielen“ heißt es da etwa. Dicu lässt es im Chor aufsagen. Dass der Biss des wohl berühmtesten Wiedergängers der Literaturgeschichte im Übrigen viel mit Sexualität zu tun hat, liegt auf der Hand.

Auch bei den vermeintlich Gutwilligen und Harmlosen, wie dem Irrenarzt Dr. John Seward, Arthur und Mina, sind die Gefühle gespalten. Sebastian Haase, Philip Heimke und Laura Lippmann spielen Normalos, um deren Seelenheil es letztendlich auch nicht zum Besten bestellt ist. Die Faszination des Todes, der in ihre heile Welt eindringt, ist auch in ihnen erwacht. Wie Laura Lippmann das tosende Meer beschreibt, unter dessen Grollen der Untote England erreicht, lässt die Zerbrechlichkeit aller Bürgerlichkeit erahnen.

Michaela Dicus Inszenierung schafft es mit variantenreich genutzten Bühnenebenen, die Geschichte zu erzählen. Und sie schafft Distanz, um einen tiefen Blick darauf zu werfen. Aber nur so viel, dass die Stimmungslage noch deutlich spürbar ist – von einer menschlichen Gesellschaft, die sich einerseits bis ins Innere bedroht fühlt und andererseits zum Blutrausch neigt. Wenn es sein muss, stummfilmmäßig melodramatisch verstärkt von Andreas Kohl am Klavier. Das Premierenpublikum hat ganz lange und sehr beeindruckt applaudiert.

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